Für meine Romanfiguren. Ich gehe radikal von der Wahrnehmung einer als alleiniges und dominantes Wahrnehmungszentrum konzipierten literarischen Figur aus. Die Autonomie der literarischen Figur ist durch die Erzählinstanz garantiert. Diese Figur spricht aus sich heraus. Alle Wahrnehmung läuft über diese Figur. Wird von dieser Figur gefiltert. Der Roman führt die gelebten oder erinnerten Erfahrungen dieser Figur entlang. Der Roman selbst ist das Medium der Autonomie der jeweiligen Figur. In einem Vorgriff wird der von der Moderne intendierte Idealzustand der autonom gedachten Person formal ermöglicht. Und. In der schonungslosen Gegenüberstellung der literarischen Figur der zu lebenden Realität die Kritik daran geübt. Die vom Roman hergestellte Autonomie der Romanfigur macht die real zu lebende Wirklichkeit der Unzeitlichkeiten und Uneindeutigkeiten der Spätestmoderne in ihrer Unlebbarkeit sichtbar. Der mit der Neuzeit beginnende Auftrag zur Autonomie der Person ist in der besonderen Form des Romans erfüllt. Die Folgen dieses Auftrags werden im Roman untersucht. Das verbietet allwissende Erzählung als Rückgriff in vormoderne Hoffnungen metaphysischer Erklärung.
Wenn aber die literarische Figur in der nun endgültig nicht mitteilbaren Situation des Sterbens ist. Wenn ein phantastisches Folgen der literarischen Figur in diesen Zustand nur jenen Kitsch herstellen könnte, der die Lügen dieser metaphysischen Hoffnungen so schön verstärkt. Wenn also zum Beispiel die literarische Figur einer Explantation ausgesetzt wäre. Es gäbe keinen Text. Es könnte keinen Text geben. Die Autonomie der Person wäre längst beendet. Ein bürokratisches Verfahren hätte ja das Leben dieser Person als beendet erklärt bevor der Körper gestorben wäre. Was in der Vormoderne als Gottes Beschluß gegolten hätte, ist in die Zustimmung einer fachlichen Meinung umgewandelt. Die Schutzlosigkeit des Körpers der explantierten Person erklärt sich aus dieser Wendung in das Warendenken der kapitalistischen Moderne. Die Nutzlosigkeit des abgeernteten Körpers nach der Explantation ist darin ausgedrückt, daß nicht einmal ein Tuch über diese Person gebreitet wird.
Wenn also nun in meiner sekundären Bewußtseinsstromtechnik der Text für die literarische Figur in einem solchen Fall beendet wäre. Weil es keinen Text von imaginierten Zuständen geben darf, die sich der Erfahrung insofern entziehen, als diese Erfahrung nicht mehr mitgeteilt werden kann. Dann gälte es auch in der Form Gesellschaftlichkeit zu entfalten und eine andere literarische Figur den Bericht zu übergeben. Eine, aus der Form begründete Solidarität müßte das sein. Die Situation der ihrer Autonomie beraubten Person müßte wiederum autonom geschildert werden und damit besprechbar gemacht werden.

Marlene Streeruwitz

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