Simona Ryser

1969 in Zürich geboren, Lehre als Verlagsbuchhändlerin, dann im Lektorat beim Diogenes Verlag, Matura im zweiten Bildungsweg. Gesangsstudium/Meisterkurse, Opernstudio Biel Bienne (CH). Seit 1995 Engagements an verschiedenen Opernhäusern, u. a. in Leipzig, Salzburger Festspiele, Zürich, und freie Produktionen, kammermusikalische Tätigkeit. Seit 1998 künstlerische Leiterin von ‘szene und musik’ (Veranstaltungen mit innovativen Musikprogrammen). Studium der Philosophie und Neueren Deutschen Literatur, Lizentiat über I. Bachmann und M. Heidegger. Seit 1990 Autorin und Journalistin, seit 2004 freie Hörspielregisseurin für DRS 2, NDR, SR; freischaffende Sängerin.

Veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien. Einzelveröffentlichungen, u. a.: Nachttage. Roman. tw 1994. Toscas Tod. Eine Kriminaloper. Musik v. J. Marks, Libretto v. S. Ryser, 2000. Fanny Hensel-Mendelssohn. Ein musikalisches Frauenzimmer. Hörspiel. DRS 2 2005. Sehnsuchtsort Krim. Feature. DRS 2 2005. Kaktusfeigen am Stadtrand. Hörspielspaziergang. Stadt Zürich 2005. Stadtsynkopen. Hörspiel. ORF 2006. Maries Gespenster. Roman. Limmat 2007.

Die Mutter war ein Schmetterling, jedenfalls unterschrieb sie alle Briefe und Notizen mit einer kleinen Zeichnung. Sie schrieb ihre Verzweiflung mit blauem Kugelschreiber auf Makulatur und legte sie abends auf Maries Bett, wie ein Betthupferl vor dem Einschlafen. Marie versuchte, die blauen Linien, die der Schmetterling hinterließ, nicht zu lesen, denn nachts hatten die Briefe eine flammende Schrift, während sie am Morgen abgekühlt waren. Aber meistens gelang es ihr nicht, sie musste sie sofort lesen, und nahm sie zu sich wie eine Süßigkeit, die ihr in der Nacht Mund und Magen verätzte.

Und während nachts die Vogelspinne unter dem Bett der Mutter hervorkroch, versuchte Marie diese brennende, klebrige Schrift in ihrem Magen loszuwerden, und manchmal hörte sie Ratten, die in den Wänden eingeschlossen waren und unruhig am Stein kratzten oder leise umhertappten.

(Maries Gespenster)

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